Sebastian Scheel zur Mehrwertsteuer in der Gastronomie
Plenarrede vom 30.11.2023
Sebastian Scheel (LINKE):
Sehr verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren!
Das Gastgewerbe ist in der Tat in schwierigen Zeiten. Es ist schon mehrfach angesprochen worden: Die letzten Jahre, gerade die Pandemie, haben
ein massenhaftes Sterben von Gastronomiebetrieben mit sich gebracht – 36 000 bundesweit, das ist eine Menge. Wenn wir den Zahlen des DEHOGA glauben können, werden durch die dann nicht mehr stattfindende Steuersenkung weitere 12 000 Betriebe bundesweit hinzukommen, die aufgeben müssen, weil sie mit dieser 12-prozentigen Steuererhöhung, die sie dann wegtragen müssen, die sie auch nicht einfach nur an die Kunden weitergeben können, überfordert sind. Wir haben während Corona gezeigt, dass wir mit direkten Unterstützungen und durch indirekte Subventionen, wie es die Steuersenkung de facto war – auf Speisen übrigens nur, nicht auf Getränke –, den Unternehmen helfen konnten, über diese schwierige Zeit zu kommen. Das ist das eine, die eine Seite der Medaille.
Die andere Seite ist, dass wir es in einem gewissen Maße mit einem Anachronismus zu tun haben. Es ist doch vollkommen absurd, dass jemand, der sich die Pizza bestellt, sie abholt und mit nach Hause nimmt, nur 7 Prozent Steuern zahlt, aber derjenige, der sie im Restaurant verzehrt, die 19 Prozent zahlt.
Jedes Mal, wenn Sie bei diesen berühmten komischen Fast-Food-Ketten gefragt werden: Zum Hieressen oder Mitnehmen? –, macht der Konzern einen fetten Mehrgewinn, nur dadurch, dass er 7 Prozent zahlen muss. Das ist eine Ungerechtigkeit, die zwischen dem Gastgewerbe und gerade den Fast-Food-Ketten schon immer vorhanden war, ein Anachronismus, und der muss beendet werden. Deshalb steht auch die Linke für die dauerhafte Senkung des Mehrwertsteuersatzes auf 7 Prozent.
[Beifall bei der LINKEN]
Wir haben natürlich in Berlin ein besonderes Problem:
Die Kaufkraft hier ist noch mal ungefähr 20 Prozent niedriger als in den Topstädten oder Topregionen der Bundesrepublik. Dementsprechend können sich Bürge
rinnen und Bürger, die Menschen hier in Berlin den Gang in die beliebte Kneipe oder in das beliebte Restaurant immer weniger leisten. Hinzu kommen Inflation und Kostenerhöhungen in den Betriebskosten, erhöhte Mieten, die es den Leuten immer schwerer machen, die 1, 2, 10 oder 20 Euro aufzubringen, um einmal essen zu gehen.
Essen gehen ist nicht nur irgendetwas. Das sind Orte von Geselligkeit. Wo geht man denn hin mit dem Großvater, wenn man den Geburtstag feiert? Wo geht man hin mit der Betriebsfeier? Wo geht man hin, wenn man mit Freunden gemeinsam tolle Momente verbringen will?
Natürlich in die Kneipe oder in die Gastronomie! Wenn immer mehr Gastronomen sich fragen müssen, ob es für sie Sinn macht, die Kneipe oder das Restaurant noch aufzumachen, dann haben wir ein ernsthaftes Problem, auch in der kulturellen Leistung dieses Landes.
[Beifall bei der LINKEN – Beifall von Sebastian Walter (GRÜNE)]
Kommen wir mal zu dem Antrag der AfD: Sie sind in der Tat – es ist gerade schon gesagt worden – eindeutig zu spät. Die CDU/CSU hat in der Tat im Bundestag sogar einen Gesetzentwurf eingebracht; der ist in namentlicher Abstimmung leider abgelehnt worden. Es gab eine Menge Lippenbekundungen. Der Bundeskanzler hat gesagt, er kann sich vorstellen, dass das dauerhaft erhalten bleibt; der Finanzminister der FDP sowieso,
[Zuruf von Marc Vallendar (AfD)]
auch die Grünen. Die Linke hat einen Antrag eingebracht, auch noch vor Ihnen. Sie waren die Letzten, auch im Bundestag, die überhaupt auf die Idee kamen, einen Änderungsantrag dazu zu stellen. So viel mal dazu, dass Sie diejenigen sind, die die Themen anpacken, Kollegen von der AfD!
[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]
Leider haben die, auch die Anträge im Bundesrat, keine Mehrheit gefunden. Und jetzt haben wir noch die Haushaltsnotlage dazu. SPD, Grüne und FDP haben sich im Bund nicht zusammenraufen können, dieses wichtige Signal in die Gastrowirtschaft zu senden.
[Anne Helm (LINKE): Sehr ärgerlich!]
Deswegen wird es wohl zum 1. Januar 2024 zu 19 Prozent Mehrwertsteuer auf Speisen im Gastrogewerbe und dementsprechend zu einer ernsthaften und schwie
rigen Situation kommen. Wir können nur schauen, ob wir das durch Maßnahmen vielleicht begleiten können, aber ich sehe im Moment, ehrlich gesagt, keine Handlungsmöglichkeiten mehr. Ich kann nur hoffen, dass noch Gespräche stattfinden. Aber die Nacht der langen Messer, wie man sie so schön nennt, ist mittlerweile vorbei. Dort hat es keinen Eingang gefunden. Wenn, dann geht es nur auf den letzten Meter. Dazu wünsche ich Ihnen viel Erfolg bei den Verhandlungen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
[Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der LINKEN: Bravo!]